Frauen in der Pfingstbewegung

GEISTBEGABT, BERUFEN UND GESANDT

Zuerst habe ich die zugrunde liegende Problematik gar nicht recht verstanden: Wie konnte bei manchen Frauen in unserer Gemeinde das Gefühl entstehen, nicht den gewünschten Raum zum Dienst zu finden? Frauen waren doch immer schon als Mitarbeiterinnen in wesentlichen Aufgabenfeldern unseres Gemeindelebens aktiv gewesen und als Mitarbeiterinnen geschätzt – von der Hausgruppenleitung bis zum Kinderdienst, von der Buchführung bis zum Segnungsdienst.
Warum bringen Frauen immer wieder zum Ausdruck, dass sie sich trotz der vielfältigen Möglichkeiten zum geistlichen Dienst oftmals doch nicht wirklich freigesetzt fühlen?
„Was Frauen beeinträchtigt, ist die Spannung zwischen der Gewissheit göttlicher Berufung und der anklagenden Stimme, etwas zu tun, was sie als Frauen eigentlich nicht dürfen – einer Stimme, die sich aus einer traditionellen Auslegung einiger nur schwer zu deutenden Textstellen im Neuen Testament nährt.“
Mit diesen Worten beschreibt ein Gemeindepastor treffend das Dilemma: Frauen mit einem Ruf zum geistlichen Dienst stehen oft noch immer in einer Gehorsamsfalle! Dieser Beitrag betrachtet den geistlichen Dienst der Frau in der Geschichte der Pfingstbewegung. Er schließt mit einem Plädoyer für ein gabenorientiertes und partnerschaftliches Modell für das Miteinander von Frauen und Männern im geistlichen Dienst.

Geistbegabt, berufen und gesandt – ein Blick in die Geschichte

Im weltweiten pfingstlich-charismatischen Aufbruch haben Frauen immer bedeutende Dienste ausgeübt und Leitungspositionen wahrgenommen. Sie sind als Evangelistinnen, in Bibellehre und Gemeindegründung auf heimatlichem Boden und dem weltweiten Missionsfeld tätig. Besonders in Zeiten des geistlichen Aufbruchs und der Erweckung findet der Dienst von Frauen weiten Raum.

Im Vorfeld der Pfingstbewegung

Aus dem Umfeld von Charles Finney, dem erfolgreichen Erweckungsprediger des 19. Jahrhunderts, ist bekannt, dass Frauen in seinen Versammlungen entgegen den sozialen Strukturen seiner Zeit öffentlich sprechen dürfen. Auch die Kirchen, die aus der Heiligungsbewegung, einem Vorläufer der klassischen Pfingsterweckung, hervorgegangen sind, haben keine Bedenken gegen eine Ordination von Frauen.

An der Wiege der Pfingstbewegung

Frauen der ersten Stunde tragen das Pfingstfeuer weiter: Agnes Ozman empfängt als erste in der Bibelschule in Topeka durch den Dienst von Charles Parham die Geistestaufe mit dem begleitenden Zeichen des Sprachengebets; Lucy Farrows führt als Mitarbeiterin von William Seymour in der Azusa Street Mission hunderte Besucher in die Erfahrung der Geistestaufe.

Im weltweiten pfingstlich-charismatischen Aufbruch

Die Liste anerkannter Dienste von Frauen in der klassischen Pfingstbewegung und der Charismatischen Erneuerung ist lang: Marie Woodword-Etter und Kathryn Kuhlman wirken im Heilungsdienst; Florence Crawford (Apostolic Faith Mission), Aimee Sample McPherson (International Church of the Foursquare Gospel) und Heidi Baker im heutigen Mosambik gründen Gemeindebewegungen; die „Nilmutter“ Lillian Tras-her versorgt Waisenkinder in Ägypten; Jackie Pullinger wirkt als moderne Stadtmissionarin in Hongkong; Marilyn Hickey, Joyce Meyer, Iverna Tompkins, Rita Bennett und Joy Dawson stehen in einem internationalen Lehrdienst; Daisy Osborn, Corrie ten Boom und Suzette Hattingh sind für evangelistische Dienste bekannt und geschätzt.

Frauen in der deutschen Pfingstbewegung

Geisterfüllte Frauen verbreiten das Zeugnis von der persönlichen Pfingsterfahrung in Deutschland, wie die norwegische Missionarin Dagmar Engström bei ihrem Besuch im Jahr 1907. In Breslau gibt es um 1913 freie Pfingstkreise unter der Leitung einer Frau Feldner. Fast zeitgleich entsteht durch eine Lehrerin namens Fritze ein „Bethaus für alle Völker“.
Zu den bekannteren Frauen in der deutschen Pfingstbewegung gehört Paula Gassner, die Gründerin der „Biblischen Glaubens-Gemeinde“ in Stuttgart, der Vorläuferin des heutigen Gospel Forums. Frauen als Gemeindeleiterinnen kennt auch der Bund Freikirchlicher Pfingstgemeinden (BFP): Lehrerinnen wie Emma Decker, Olga Olsson und Gladys Williscroft helfen maßgeblich beim Aufbau des „Theologischen Seminars Beröa“. Die Gemeinde der Christen Ecclesia, eine weitere pfingstliche Denomination, wird als Gesamtverband nach dem Tod ihres Gründers, Hermann Zaiss, von 1958 bis 1981 von seiner Frau Clara Zaiss geleitet.


Der Einfluss des Zeitgeistes – Geschichte verstehen und aus ihr lernen


Historische und soziologische Umstände

In Nordamerika befreien Anfang des 20. Jahrhunderts die zunehmende Industrialisierung und das Entstehen der städtischen Lebensstrukturen viele Frauen von den traditionellen Rollen. Die Kleinfamilie lässt Frauen mehr Freiraum für soziale und religiöse Betätigung. In der Heiligungsbewegung des 19. Jahrhundert, aus der sich die Pfingstbewegung entwickelte, werden sozialreformatorische Gedanken aufgegriffen – so auch der Gedanke der Gleichberechtigung der Frau. Die entstehende Frauenrechtsbewegung ebnet den Weg für mehr Akzeptanz von Frauen in kirchlichen Leitungspositionen. In der Pfingstbewegung liegt von Anfang an eine Betonung auf Evangelisation und Mission. In Zeiten des geistlichen Aufbruchs haben Frauen größere Freiheiten und mehr Zugang zu geistlichen Diensten.

Theologische Aspekte

Der Dienst der Frau wird begünstigt durch

  • ein Verständnis von der ursprünglichen „Schöpfungsordnung“ im Sinne eines partnerschaftlichen und nicht hierarchischen Verhältnisses zwischen Mann und Frau (Gen 1,26-28; 2,18);
  • ein Verständnis der „Erlösungsordnung“ als umfassende Wiederherstellung und Aufhebung des Fluchs, der den Geschlechterkampf einschließt (Gal 3,28);
  • ein Verständnis der „Geistesordnung“ im Sinne eines gabenorientierten Modells (1 Petr 4,10), bei dem die Qualifikation zum Dienst niemals in der Geschlechtszugehörigkeit liegt

Angst vor dem Einfluss des Zeitgeistes

Die Sorge, dass Veränderungen in der traditionellen Rolle der Frau den Zusammenbruch des Zuhauses, der Familie und der Gesellschaft mit sich bringen, führt immer wieder zu Einschränkungen. Vermutlich war es die Angst vor einer falsch verstandenen Frauenemanzipation, dass in den 1970er-Jahren im BFP (damals noch ACD) die reguläre Ordination von Frauen zum Pastorendienst vorübergehend für einige Jahre ausgesetzt wurde.

Ein Paradigmenwechsel des Herzens – die Zukunft gestalten

Die bekannte Heilungsevangelistin Kathryn Kuhlman glaubte, Gott habe sie berufen, weil seine erste Wahl, ein Mann, dem Ruf nicht gefolgt sei. Sie entschuldigte sich oft dafür, dass sie eine Frau war. Warum sah sie sich als Werkzeug zweiter Klasse?
Die Wurzeln des Problems reichen zurück in die frühen Morgenstunden der Menschheitsgeschichte. Das Verhältnis zwischen Mann und Frau, gedacht als Ergänzung und Herausforderung, wird durch den Sündenfall deformiert. Adam und Eva begegnen sich von da an als Konkurrenten. Doch durch das Werk von Golgatha sind Versöhnung, Vergebung und Wiederherstellung möglich. Das gilt auch für das Verhältnis der Geschlechter zueinander.
Viele Veröffentlichungen zur Frauenfrage haben exegetische Schneisen zu den schwierigen neutestamentlichen Stellen geschlagen und einen Bewusstseinswandel bewirkt, der uns dabei hilft, den Versöhnungsweg bis ans Ende zu gehen – einschließlich der Versöhnung der Geschlechter.
Vorbildliche Schritte vollziehen die Leiter der International Pentecostal Holiness Church, als sie am 23. August 1996 öffentlich um Vergebung bitten, „dass wir unsere Frauen nicht als gleichberechtigte Partner in Ehe und Dienst behandelt haben. Wir bekennen die Sünde der männlichen Dominanz …“. Schon 1990 haben die Assemblies of God, die größte nordamerikanische Pfingstkirche, ein Positionspapier verfasst, in dem anerkannt wird, „dass wir keinen überzeugenden Beweis finden können, der den Dienst der Frauen nach irgendeinem heiligen oder unveränderlichen Prinzip einschränkt …“
Die Spannung, die Frauen in der Gehorsamsfalle – zwischen persönlicher Berufung und überliefertem Verdikt: ‚Die Frau aber schweige!‘ – erleben, soll endgültig aufgelöst werden.

Wie kann die Pfingstbewegung in Deutschland dieses Thema weiterverfolgen?

Denkbar sind folgende Schritte:

  1. Gebet um eine Haltung der Umkehr und um Erneuerung – für einen Paradigmenwechsel des Herzens!
  2. Sorgfältige exegetische Aufarbeitung der schwierigen biblischen Texte zum Thema (1 Tim 2,1-15; 3,1-13; 1 Kor 11,2-16; 14,26-40; Eph 5,12-23).
  3. Männliche Leitungspersonen übernehmen Verantwortung für die Diskriminierung der Frau, bejahen ihre originäre, nicht vom Mann hergeleitete Berufung und schaffen ihr Raum zum Dienst.
  4. Im Rahmen einer öffentlichen Konferenz werden diese Schritte vollzogen: Ein Akt der Versöhnung führt zu Vergebung und inneren Heilungsprozessen; apostolische und prophetische Dienstgaben bestätigen Frauen in ihrem Dienst und setzen sie uneingeschränkt auch für den fünffältigen Dienst in ihre jeweiligen Berufungen frei.

Dieser Beitrag ist die gekürzte Version eines Referats im Rahmen des Symposiums „Frommer und freier? – Frauen in Freikirchen“; abgedruckt in: Jahrbücher des Vereins für Freikirchen-Forschung, Jahrbuch 13, S. 71-84, 2003, Erzhausen.

Autor

  • Klaus-Dieter Passon ist langjähriges Redaktionsmitglied der Charisma-Zeitschrift. Er gehört zum Pastorenteam im Jesus-Haus Düsseldorf, das er viele Jahre als Hauptpastor geleitet hat.

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