Interview mit dem Künstler Peter 90
Ein Bildstock ist ein religiöses Kleindenkmal, ein meist an Wegen stehender Pfeiler. Das Wegzeichen gibt Anstoß zum Gebet und ist Ausdruck von Dankbarkeit gegenüber Gott. Die Errichtung und Pflege von Bildstöcken hat insbesondere in katholischen Gegenden und den Alpenländern eine lange Tradition. Ein solcher Bildstock steht seit 2021 in Düsseldorf-Himmelgeist [siehe Foto 1]. Wie und mit welcher Motivation kann man im 21. Jahrhundert einen Bildstock schaffen? Der Künstler Peter Neunzig hat es im Interview mit Charisma erklärt.
Hat dein Kunstwerk einen Titel?
Der Titel des Bildstocks wurde abgeleitet von der Aussage des früh verstorbenen „Novalis“ (Friedrich von Hardenberg, 1772-1801), der einmal sagte, „Alles ist eine Mitteilung“. Ich übernahm dies mit der kleinen Änderung: „ALLES hat eine Mitteilung“.
Die expliziten Aussagen sind Herzstücke der biblischen Botschaft – sowohl aus dem AT: „Ich bin, der ich bin“, als auch aus dem NT: „Jesus – das ewige Wort Gottes“ [2]. Was ist dein Anliegen?
Beide Aussagen sind für den modernen Menschen, den Agnostiker und den Nihilisten eine Provokation. Das ist beabsichtigt. Ich wollte die Menschen herausfordern, sich Gott und dem christlichen Glauben zu stellen.
Der Bildstock passt bestens nach Himmelgeist, denn ‚Himmel‘ und ‚Geist‘ (Logos) werden thematisiert. War das ein Grund, es gerade hier zu installieren?
Ja, der Ortsname passt. Aber die Installation gerade hier hängt mit meinem Wohnort zusammen. Ich wollte den Bildstock in meiner Nähe haben, um auch mit den Menschen, wenn gewollt, darüber zu diskutieren. Der Bildstock umfasst das Universum der Technophilosophischen Kunst.
Der Sockel und die Scheibe sind aus dem bis zu einer bestimmten Tiefe rostenden Cortenstahl, daher braun, der himmelwärts strebende Pfeiler aus Edelstahl, daher hellgrau glänzend. Warum wähltest du diese beiden Materialien [2]?
Cortenstahl ist mein Lieblingsmaterial, dass ich auch in anderen Kunstwerken im öffentlichen Raum verwendet habe. Je nach Witterung bilden sich unterschiedliche Farbnuancen. Der Edelstahlkörper sollte sich bewusst abheben – da sich darüber das „göttliche Potenzial“ erhebt.
Auf dem Basiszylinder liegt eine Scheibe, aus der ein als Pentagon gestalteter Pfeiler hervorgeht. Warum schufst du gerade dieses Formenensemble?
Alle drei Teile – der untenstehende Zylinder (die archaisch-mythische Welt), die darüberliegende Scheibe (die Welt der Buchreligionen) und das aufstrebende Pentagon (das Göttliche) – stehen im Verhältnis des „Goldenen Schnitts“. Die transzendent-irrationale Zahl des Goldenen Schnitts beträgt 1,618… In der kybernetischen Wissenschaft erklärt sie das überall wirkende Prinzip der Rückkopplung. Das Pentagon ist ein Körper, der in sich selbstähnlich ist, d.h., das aus jedem Pentagon wieder ein neues Pentagon konstruiert werden kann. Die neu entstandenen kleineren oder größeren Teilstrecken des Pentagons haben dann wieder die Maße des Goldenen Schnitts. So kann eine geometrische Figur das göttliche Prinzip des „ICH BIN DER ICH BIN“ übersetzen. Denn diese Aussage Gottes an Moses auf dem Berg Horeb ist die perfekt rückgekoppelte Schleife. Es ist – modern ausgedrückt – Kybernetik pur.
Die Anfangsverse des Johannesevangeliums setzen bei einer Ecke des Pentagons an und entwickeln sich als logarithmische Spirale [3]. Offenbar spielt Mathematik in deiner Kunst eine große Rolle.
Ja, aber nicht nur Mathematik. Im Bildstock realisieren und konzentrieren sich 40 Jahre Studium der Naturwissenschaft, der Philosophie und der Theologie [4, 5]. Die logarithmische Spirale war mir wichtig, weil die Botschaft des Johannes – „Im Anfang war der Logos …“ – eine nach außen evolvierende Botschaft an die Menschheit ist. Gute Botschaften zeigen Wachstumspotential. Logos – Geist – künstliche Intelligenz – spielen gerade heute eine zentrale Rolle. Denken wir an Archibald John Wheeler mit seiner Aussage „It from Bit“ (siehe eine Rückseite am Pentagon), was bedeutet, dass „ALLES“ eine informationstheoretische Einheit aus 0 oder 1 hat, weshalb mit der 0 und der 1 heute auch alles simuliert werden kann. Und doch bleibt es ein Mysterium: das X2 aus der quadratischen Gleichung X2 + 1 = 0 (siehe eine Rückseite am Pentagon) [4].
Dadurch, dass die Buchstaben ausgestanzt sind, gibt es interessante Lichteffekte. Bei einem bestimmten Sonnenstand liest man auf dem Basiszylinder „Gott“ – man kann sagen: Gott erscheint. An einem anderen Tag las ich einmal „Go“ [6] – und dachte sofort an den Missionsbefehl: „Gehet hin in alle Welt …“ (Mt 28,19). Die Hälfte von „Gott“ ist „Go“. War das so intendiert?
Das war irgendwie unheimlich. Als der Bildstock im Herbst 2021 errichtet wurde, waren keinerlei Lichteffekte zu sehen. Bei höherem Sonnenstand erschien im Sommer völlig unerwartet das Wort „Gott“ auf dem unteren Basiszylinder. Die Sonne wanderte im Tagesverlauf weiter und aus „Gott“ wurde „Got“ und dann „Go“ . Für mich war das eine göttliche Botschaft – wie ein Annehmen des Bildstocks, ein „ICH BIN DA“.
Offenbar ist es dir ein Anliegen, den christlichen Glauben zu thematisieren, neu ins Gespräch zu bringen. Richtig?
Ja, der christliche Glaube gibt dem Menschen seine Heimat zurück. Der moderne Mensch ist oft orientierungslos. Wohin führt unser Weg? Ins Nirgendwo? Nein! Novalis sagt: Nach Hause – immer nach Hause! Jesus Christus ist dieser Weg nach Hause. Er kann uns helfen. Er ist die Wahrheit und das Leben.
Du nennst deine Kunstrichtung technophilosophisch. Was bedeutet dieser Begriff?
Technophilosophische Kunst ist eine neue Kunstrichtung. Sie verbindet die drei großen Denkgebäude der Menschheit: Naturwissenschaft – Philosophie – Theologie.
Gibt es für dich ein Lebensmotto? Gibt es ein Leitmotiv für deine Kunst?
Da muss ich überlegen. Vielleicht: die Sehnsucht nach Erkenntnis – um diese Erkenntnis über die Kunst anderen mitzuteilen. Das ist spannend. Denn Kunst ist Kommunikation – ist Mitteilung.
Besuchen Sie den Künstler unter: www.technophilosophische-kunst.de






[1] Moderner Bildstock in Düsseldorf-Himmelgeist
[2] Mitteilung zentraler Botschaften
[3] Johannes 1 als logarithmische Spirale
[4] Ein technophilosophisches Kunstwerk
[5] Der Künstler Peter 90
[6] Go – der Missionsbefehl erscheint
Fotos: Helmut Brückner