Die Welt oder die Menschen retten?

Klimaschützer, Friedensaktivist, Evangelist…
Sind wir Christen vor Gott für alles verantwortlich oder sollten wir uns auf den Missionsauftrag konzentrieren? Wir dürfen unterscheiden!

Unsere Solaranlage erzeugt doppelt so viel Strom, wie wir selbst verbrauchen. Am Tor zu unserem Grundstück prangt die „Grüne Hausnummer“. Meine Frau und ich haben sie vom Umweltminister für besondere Verdienste um den Klimaschutz bekommen. Erfüllen wir mit unserem Engagement für die Bewahrung der Schöpfung den Auftrag Jesu?

Aus dem Ökumenischen Rat der Kirchen erklingt als Auftrag der Kirchen: „Frieden, Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung“. Dessen Vollversammlung hat 1983 in Vancouver einen so betitelten konziliaren Prozess auf den Weg gebracht. Aber: Ist das spezifisch christlich?

Apropos Gerechtigkeit und gesellschaftliches Engagement: Als Hauptschöffe einer großen Strafkammer am Landgericht habe ich versucht, Gerechtigkeit zu schaffen. Viele Jahre engagierte ich mich ehrenamtlich als Stadtrat und stellvertretender Bürgermeister. Aber: Entspricht das dem Auftrag Jesu?

Im Sinne des Friedens verantwortete ich Hilfsprojekte in Afghanistan, leistete Nothilfe bei Naturkatastrophen, initiierte internationale Freiwilligendienste mit Hunderten von jungen Menschen auf allen Kontinenten. Heute arbeiten sie in Kinderheimen, Ernährungsprogrammen, Slums, kümmern sich um Randgruppen, Vernachlässigte, Ausgestoßene.

Und das alles als Christen, motiviert von christlicher Nächstenliebe, geleitet von biblischen Werten. Aber: Kann das nicht jeder, unabhängig von Weltanschauung und Religion? Ist das spezifisch christlich?

Viele westliche Christen scheinen mir im Blick auf den Auftrag Jesu verwirrt. Zur Klarstellung hilft mir eine einfache theologische Differenzierung: die Unterscheidung zwischen zwei von Gott gegebenen Mandaten. Der erste Auftrag Gottes richtet sich an alle Menschen, der zweite speziell an die Jünger Jesu. Einer steht am Anfang des Alten Testaments, der andere zu Beginn des Neuen Testaments.

Der erste Auftrag Gottes – an alle Menschen: Kulturauftrag

Unmittelbar nach der Erschaffung des Menschen gab Gott ihm einen Kulturauftrag. Sie sollen die Schöpfung „kultivieren und bewahren“ (Gen 2,15) und im Sinne Gottes „herrschen“ (Gen 1,28). Dieser Auftrag umfasst alle Bereiche des menschlichen Lebens: Familie, Erziehung, Bildung, Technik, Kommunikation, Politik, Wirtschaft, Freizeit, Kunst… Die Gestaltung dieser Bereiche ist ein Vorrecht aller Menschen, nicht nur der Christen. Damit dies gelingen kann, hat Gott im Alten Testament immer wieder hilfreiche Richtlinien gegeben (Ex 20,1-17; Deut 5,6ff). Später traten Propheten auf, die nicht nur das Volk Israel daran erinnerten, sondern auch andere Völker in die Pflicht nahmen (vgl. Jona). Auch Jesus selbst nennt humanitäres Handeln als einen wichtigen Aspekt, nach dem er die Völker richten wird (Mt 25,31ff).

„Frieden, Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung“ gehören selbstverständlich zu den Aufgaben der Jünger Jesu, aber nicht nur für sie. Der Kulturauftrag richtet sich an alle seine Menschen und ihre Staaten. Christen werden versuchen, die Werte Jesu kulturell umzusetzen. So entstanden zum Beispiel diakonische Werke oder William Wilberforce kämpfte als Parlamentsabgeordneter in England gegen den Sklavenhandel bis zu dessen gesetzlicher Abschaffung.

Der zweite, zusätzliche Auftrag – nur an die Nachfolger Jesu: Missionsauftrag

Hier kommt die entscheidende Differenzierung: Die Gemeinde Jesu kann und darf sich nicht auf den Kulturauftrag beschränken. Jesus hat seinen Jüngern nach der Auferstehung einen Auftrag hinterlassen, den nur sie erfüllen können: den Missionsauftrag. Sein Imperativ lautet bei Matthäus: „Macht alle Völker zu meinen Jüngern!“ (Mt 28,19). Er wird umgesetzt, indem die Christen all das lehren, was Jesus ihnen aufgetragen hat, und indem sie die neuen Nachfolger taufen. Dieser Auftrag richtet sich weder an alle Menschen noch an deren Staaten.

Um den Missionsauftrag umzusetzen, hat Jesus seinen Nachfolgern Gaben gegeben, die über die natürlichen Schöpfungsgaben hinausgehen: die Charismata (Gnadengaben, 1 Kor 12, Röm 12). Sie dienen dem Bau der Gemeinde Jesu. Schon zu Lebzeiten sandte Jesus seine 12, später 70 Jünger aus: das Reich Gottes verkünden, Kranke heilen, Dämonen austreiben (Mt 10,1ff).

Als Nachfolger Jesu investiere ich also den überwiegenden Teil meiner Zeit und Gaben in die Umsetzung des zweiten Auftrags, ohne – wie oben gezeigt – den ersten zu vernachlässigen. Bei Katastrophen oder Hungersnöten muss der erste Auftrag sogar zeitlich Vorrang haben. Und manchmal beruft und befähigt Gott auch einzelne Christen zu zentralen Aufgaben in Politik oder Diakonie. Als Nachfolger Jesu müssen wir aber immer beide Aufträge im Blick haben. Den Missionsauftrag können nur Christen erfüllen. Irdisches Wohlergehen ist nur ein Aspekt der Ewigkeit. Die ewige Rettung liegt im 2. Auftrag und ist denen verheißen, die Jesus nachfolgen. Sie hat daher inhaltlich Vorrang.

Es gilt zu unterscheiden:

Der Kulturauftrag
(Gen 1-11)
Der Missionsauftrag
(Mt 28,18 ff)
„Herrscht“ über die Erde„Macht zu Jüngern!“
„kultivieren und bewahren“„indem ihr tauft und lehrt“
Umfasst Arbeit für FriedenVerkündigt den Frieden mit
Gott
Sorgt sich um GerechtigkeitVersöhnt mit Gott
Bewahrt die irdische SchöpfungVerkündigt die ewige Rettung
Sozial aktivLiebt Gott und den Nächsten
Sorgt für innere und äußere SicherheitBaut die Gemeinde
Mit Hilfe natürlicher GabenDurch Gnadengaben
(Charismata)
Gilt für alle Menschen, auch für ChristenGilt nur für Christen

Ergebnisse:

Die Unterscheidung zwischen erstem und zweitem Auftrag ermöglicht es, alle Menschen als Ebenbild Gottes zu betrachten, unabhängig von deren Weltanschauung.

Im Rahmen des ersten Auftrags können und sollen Christen mit allen Menschen zusammenarbeiten. Dabei werden sie christliche Werte vertreten.

Die Differenzierung zwischen den beiden Aufträgen verhindert große Fehlentwicklungen, die es in der Geschichte leider immer wieder gab. So ist z.B. der Missionsauftrag nicht an den Staat übertragbar und die staatliche Gewalt nicht der Gemeinde Jesu.

Für Jesu Nachfolger steht der Missionsbefehl vor dem Kulturauftrag!
Wir sollen das eine tun und das andere aber nicht lassen.

Autor

  • Andreas Franz

    Dr. Andreas Franz ist geschäftsführender Vorsitzende von Horizonte Weltweit e.V. und Studienleiter der Theologisch-Missionswissenschaftlichen Akademie (TheMA). Er ist verheiratet mit Marina. Gemeinsam haben sie drei erwachsene Kinder.