Frauen in den ersten Gemeinden

War der „fünffältige Dienst“ nur Männersache?

Während sich in vielen Gemeinden noch traditionelle Denkmuster über die Rolle der Frau halten, setzt sich vor allem in Missionen und jungen Gemeinden eine neue Praxis durch, die theologisch oft nicht genügend reflektiert ist. Den Preis dafür müssen die Frauen bezahlen, die ihren Dienst oft in Unsicherheit und vielleicht sogar mit unruhigem Gewissen tun. Wir wollen daher der Frage nachgehen, welchen geistlichen Diensten Frauen im Neuen Testament nachkamen und ob sie möglicherweise sogar im so genannten „fünffältigen Dienst“ als Apostel, Propheten, Evangelisten, Hirten und Lehrer (Eph 4) zu finden sind.

Die Stellung der Frau in der christlichen Gemeinde wird heute kontrovers diskutiert. Die Auseinandersetzung bewegt sich zwischen zwei Extremen:

1. Ein kulturgebundenes Bibelverständnis, welches der Frau eine untergeordnete Stellung zuweist.

2. Eine genauso falsche feministische Theologie, welche der Frau eine übergeordnete Stellung zuschreibt.

Beiden Positionen liegen kulturbedingte oder ideologische Auslegungsansätze zugrunde, die hinterfragt werden müssen. Die feministische Theologie bekennt sich meist offen zu einer bibelkritischen Haltung und scheidet daher im Rahmen dieses Artikels aus. Bedeutend schwieriger ist dies bei einem Biblizismus, der von seiner „Bibeltreue“ überzeugt ist. Gewöhnlich ist er blind dafür, dass jeder Leser die Bibel durch seine kulturelle Brille interpretiert und das Schriftverständnis bei mangelnder Kenntnis der Originalsprachen durch vorgegebene (tendenziöse) Bibelübersetzungen geprägt wird.

Missionsgeschichtlich ist unstrittig, dass Frauen in den vergangenen zwei Jahrhunderten bei der Ausbreitung des Evangeliums eine herausragende Rolle spielten. So sandten zum Beispiel die so genannten Glaubensmissionen etwa doppelt so viele Frauen wie Männer aus. Ihr Anteil am „Erfolg“ dürfte etwa im gleichen Verhältnis stehen. Und selbst der größte Kritiker am geistlichen Dienst von Frauen muss zugestehen, dass die Ernte Satans bedeutend reicher wäre, hätten Frauen geschwiegen oder Leitungsaufgaben verweigert. Hier entsteht die Spannung zwischen einem traditionellen Dogmatismus und der empirisch nachweisbaren guten Frucht.

Die nachfolgenden Ausführungen sollen zu weiterer Forschungsarbeit ermutigen. Einige Punkte lassen sich jetzt schon zweifelsfrei festhalten. Andere können vorerst nur die Einseitigkeit der traditionellen Auslegung korrigieren und Lösungsvorschläge andenken.

Zunächst sollen jene Dienste genannt werden, die zweifelsfrei auch von Frauen getan wurden.

Diakonin

Völlig unstrittig ist, dass Frauen bereits zur Zeit des Paulus als Diakone tätig waren. Phöbe arbeitete als Diakonin in der Gemeinde zu Kenchreä (Röm 16,1). Das Griechische benutzt in diesem oft nur sehr unscharf übersetzten Text erstaunlicherweise die maskuline Form „diakonos“. Dies ist ein Hinweis darauf, dass der allgemeine Gebrauch der maskulinen Wortform durchaus Frauen einschließt.

Auf diesem Hintergrund wird die Interpretation des Abschnitts im 1. Timotheusbrief 3,8-13 interessant. Traditionell wird davon ausgegangen, dass mit den in Vers 11 genannten Frauen die Ehefrauen der Diakone gemeint seien. Im ursprünglichen Text steht hier jedoch nicht: „Ebenso sollen ihre Frauen ehrbar sein…“, sondern schlicht: „Ebenso sollen Frauen (=Diakoninnen?) ehrbar sein…“. Genauso auffallend ist der Parallelismus in den geforderten Tugenden. Männer sollen (1) ehrbar sein, (2) nicht doppelzüngig, (3) nicht dem Wein ergeben, (4) nicht schändlichen Gewinn suchen. Ebenso sollen Frauen (1) ehrbar sein, (2) keine Lästerinnen, (3) nüchtern und (4) treu in allem. Da es nachweislich weibliche Diakone gab, galten für sie die gleichen Kriterien.

Grammatikalisch bleibt hier noch zu klären, ob im neutestamentlichen Griechisch (Koinee-Griechisch) bei fehlendem Possessivpronomen und Artikel trotzdem das Possessivpronomen („ihre“) impliziert ist. Dies hätte dann aber lediglich für die Exegese dieses Abschnitts Bedeutung. Es ändert nichts an der Tatsache, dass es weibliche Diakone gab.

Prophetin

Dass es in alttestamentlicher Zeit Prophetinnen gab, ist ebenfalls unstrittig. Mirjam (2 Mose 15,20) und Hulda (2 Kön 22,14-20) prophezeiten zu einer Zeit, in der gleichzeitig fähige männliche Leiter zur Verfügung standen. Der Prophet Joel kündigte ausdrücklich eine Zeit an, in der die „Söhne und Töchter prophezeien“ würden (Joel 3,1).

Petrus griff Joels Prophetie auf, um der versammelten Volksmenge die Vorgänge am Pfingsttage zu erklären. Was traditioneller Theologie so schwer fällt, war für die neutestamentlichen Autoren selbstverständlich: es gibt weibliche Propheten. Die vier unverheirateten Töchter des Diakons und Evangelisten Philippus prophezeiten (Apg 21,9). Ebenso gab es in der Korinther Gemeinde Frauen, die prophetisch reden konnten (1 Kor 11,5).

Es würde den Rahmen dieses Artikels sprengen, die im Korintherbrief genannten Regelungen für Frauen im Gottesdienst zu erläutern. Gleichgültig welcher Interpretation man dabei folgt: es bleibt festzuhalten, dass sowohl das Alte als auch das Neue Testament Prophetinnen kennen.

Lehrerin

Den ersten Hinweis auf den Lehrdienst einer Frau finden wir bei der Unterweisung des Apollos durch Aquila und Priscilla (Apg 24,26). Während Lukas in der Apostelgeschichte zuerst den Mann erwähnt, nennt Paulus – entgegen damaliger Sitte – in der Grußliste des Römerbriefs zuerst die Frau. Dies kann als ein Hinweis auf ihre Bedeutung gewertet werden (Röm 16,3).

Eindeutig ist auch, dass Timotheus die geistlichen Grundlagen von seiner Mutter und Großmutter gelehrt bekam (2 Tim 3,14f; 1,5). Ferner fordert Paulus im Titusbrief, dass die älteren Frauen „Lehrerinnen des Guten“ sein sollten (2,3).  Sie sollten die jüngeren Frauen „zur Besonnenheit anleiten“. Selbst wenn damit nicht ein ausdrücklicher Lehrdienst, sondern die Vorbildfunktion gemeint sein sollte, so schließt es doch „lehren“ mit ein. Frauen können Lehrerinnen sein.

Wie ist dann das „Lehrverbot“ für Frauen im 1. Timotheusbrief 2,12 zu verstehen, wenn der gleiche Briefschreiber (Paulus) an Titus etwas anderes schreibt? Diese Spannung lässt sich relativ leicht lösen, wenn man die Übersetzungsmöglichkeiten betrachtet. Demnach kann entweder übersetzt werden, dass die Frau (1.) nicht lehren und (2.) nicht herrschen darf. Oder beides gehört zusammen: die Frau darf nur lehren, wenn sie dabei nicht über den Mann herrscht. Das für „herrschen“ gebrauchte griechische Wort kommt im Neuen Testament nur einmal vor, was die Deutung erschwert. Folgende Übersetzung bringt die persönliche Haltung des Apostels wohl am besten zur Geltung: „Ich gestatte keiner Frau zu lehren und sich (dabei) Gewalt über den Mann anzumaßen. Sie soll Zurückhaltung üben.“ In diesem Sinne wendet sich Paulus gegen manipulative Lehre. Ob eine Frau lehren darf oder nicht, hängt letztlich davon ab, was sie mit ihrer Lehre bewirkt oder bewirken will. Ein Beispiel für den Missbrauch von Prophetie und Lehre durch eine Frau findet sich in Offenbarung 2,20 (Verführung zu Unzucht und Götzendienst durch Isebel). Nicht, dass sie prophezeite oder lehrte, war falsch, sondern was sie bewirkte. Es wäre eine falsche Interpretation, daraus ein völliges Lehrverbot für Frauen abzuleiten.

Neben diesen klaren Aussagen gibt es weitere Hinweise auf geistliche Dienste von Frauen, die nicht ausgeschlossen, aber (bisher) auch nicht zwingend nachgewiesen werden können.

Apostel

Jesus selbst berief nur Männer zu den zwölf Aposteln, auch wenn er ständig von Frauen begleitet wurde. Daneben kennt die neutestamentliche Gemeinde aber weitere Apostel, die nicht zu den Zwölfen gehörten. Das griechische Wort „apostolos“ bedeutet schlicht „Entsandter“ oder  „Missionar“ (lateinisch).

Im Römerbrief 16,7 finden wir einen Hinweis darauf, dass dieser Aposteldienst nicht nur von Männern wahrgenommen wurde. Hier ließ Paulus Andronikus und Junia(s) grüßen, welche berühmte Apostel waren. Ob Junia(s) nun ein männlicher oder weiblicher Name ist, lässt sich aus der Deklinationsform selbst nicht ablesen. Grammatikalisch ist beides möglich. Allerdings ist der Männername „Junias“ in der Antike nicht belegt. Dagegen kennen sowohl das Griechische als auch das Lateinische den Frauennamen „Junia“. Die älteste handschriftliche Überlieferung (p46) liest hier sogar „Julia“. Erst im 13. Jahrhundert wurde der Name als Männername „Junias“ interpretiert.

Allerdings lässt der zweite Satzteil noch eine weitere Deutung zu: entweder sie waren (1.) berühmte Apostel oder sie waren (2.) bei den Aposteln berühmt. Während die 1. Variante klar aussagt, dass eine Frau apostolische Aufgaben wahrnahm, ließe die 2. Variante diese Frage offen. Daher ist dieser Nachweis (noch) nicht zwingend. Bedeutende Kirchenväter neigten aber zur 1. Variante.

Evangelistinnen

Das Substantiv „Evangelist“ findet sich im Neuen Testament nur dreimal. Einmal beschreibt es den Evangelisten-Dienst an sich (Eph 4,11). Ferner werden Philippus (Apg 21,8) und Timotheus (2Tim 4,5) Evangelisten genannt. Dies heißt aber nicht, dass nicht auch Paulus oder Petrus bedeutende Evangelisten gewesen wären. Meist wird die Verbform gebraucht: sie evangelisierten.

Wenn man davon ausgeht, dass die Redewendung „für das Evangelium kämpfen“ ein Synonym für „evangelisieren“ ist, dann waren Evodia und Syntyche gleichfalls Evangelistinnen (Phil 4,2-3). Paulus erwähnt sie vor weiteren Männern als seine „Mitstreiterinnen für das Evangelium“.

Der auferstandene Herr hatte jedenfalls kein Problem mit weiblichen Botschafterinnen. Die ersten Verkündiger der guten Nachricht von der Auferstehung Jesu waren Frauen: „Verkündigt dies meinen Brüdern!“ (Joh 20,17; Lk 24,9). Selbst wenn zwischen „Zeugendienst“ als allgemeiner Aufgabe und „Evangelisten“ als besonderem Dienst unterschieden wird, gibt es keinen Grund, weibliche Evangelisten auszuschließen.

Hirten

Für den Hirtendienst von Frauen finden sich ebenfalls keine wörtlichen Hinweise. Das Wort „Hirte“ wird im Neuen Testament vorwiegend für Jesus gebraucht. Nur einmal bezeichnet es den späteren Hirten-Dienst. Wir müssen daher nach Sachparallelen schauen.

Im Judentum waren zur Gründung einer Synagoge in einer Stadt mindestens zehn erwachsene Männer erforderlich. Obwohl Paulus aus dem Judentum kam und gewöhnlich erst in den Synagogen predigte, durchbrach er diese Sitte beim christlichen Gemeindebau.

Den Grundstock der ersten Gemeinde in Europa bildeten ausschließlich Frauen. Dabei wird Lydia besonders erwähnt (Apg 16,13-15). Insgesamt spielten Frauen in den jungen christlichen Gemeinden eine neue Rolle. So werden sie in den Gemeinden in Thessalonich (17,4),  Beröa (17,12) und Athen (17,34) besonders hervorgehoben. Schon die Erwähnung der Frauen in den biblischen Berichten – teilweise vor den Männern – ist ein Hinweis darauf, wie sehr sich die Bedeutung der Frau gewandelt hatte. Es ist jedenfalls offensichtlich, dass sie bereits in den jungen Gemeinden Leitungsverantwortung übernahmen.

Zusammenfassung

Abschließend kann festgehalten werden, dass es im Neuen Testament keine Aussage gibt, die den geistlichen Dienst von Frauen eindeutig verbietet. Vielmehr finden sich mehrere Hinweise darauf, dass Frauen alle Dienste wahrnahmen, die dem Bau der Gemeinde Jesu dienten. Auf diesem Hintergrund bekommt die Aussage von Paulus besondere Bedeutung: „Da gibt es nicht mehr Juden oder Griechen, nicht mehr Knechte oder Freie, nicht mehr männlich (Mann) oder weiblich (Frau); denn ihr seid allesamt eine Einheit in Christus Jesus“ (Gal 3,28).

© Dr. Andreas Franz, Hansenstr. 41a, 39179 Barleben

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Autor

  • Andreas Franz

    Dr. Andreas Franz ist geschäftsführender Vorsitzende von Horizonte Weltweit e.V. und Studienleiter der Theologisch-Missionswissenschaftlichen Akademie (TheMA). Er ist verheiratet mit Marina. Gemeinsam haben sie drei erwachsene Kinder.

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