The Chosen – Jesus und seine Jünger mit neuen Augen sehen

Meine Frau und ich schauen gemeinsam die Staffeln von „The Chosen” und haben die fünfte Staffel begonnen. Für uns immer ein abendliches Highlight.
Die Jesus-Serie sorgt seit Jahren weltweit für Furore. Wenn es so weitergeht, wird sie spätestens im nächsten Jahr von über einer Milliarde Menschen gesehen worden sein. Viele sind begeistert, aber es gibt natürlich auch Kritik. „The Chosen” polarisiert.
„The Chosen” wird über Crowdfunding finanziert. Mit ihren Spenden ermöglichen Christen, dass die Serie inhaltlich völlig unabhängig von den Erfolgszwängen des Filmbusiness verfilmt werden konnte. „The Chosen” ist auf sieben Staffeln mit je acht Folgen à 50 Minuten angelegt. Insgesamt stehen somit 50 bis 60 Stunden für das Leben Jesu zur Verfügung.

Vielfältige jüdische Gemeinschaft

Der Titel „The Chosen” ist zweideutig. Es geht nicht nur um den Erwählten, sondern um die Erwählten. Es ist spannend zu sehen, wie die Jünger zu Jesus und in den Jüngerkreis kommen und ihn für sich entdecken. Dadurch ergibt sich für alle ein unterschiedlicher Blickwinkel auf Jesus. Ebenso vielfältig ist auch der kulturelle jüdische Hintergrund der Anhänger. Nebenbei ermöglicht es einen neuen Zugang zum Judentum und man erfährt so manches über ihre Feste, auch wenn einige von ihnen erst in nachbiblischer Zeit wohl so gefeiert wurden. Die Jesusbewegung wird als jüdische Gemeinschaft sichtbar. Jesus und seine Jünger beten immer wieder Psalmen und andere jüdische Gebete. Klar wird: Das Heil kommt von den Juden (Joh 4,22).

Die Menschlichkeit

Im Vordergrund steht nicht nur die Menschlichkeit Jesu, sondern auch die der Jünger und anderer Personen aus seinem Umfeld, seien es Römer oder Pharisäer. Es gibt Feinde und Freunde, Skeptiker und Schwankende. Auch wenn Jesu göttliche Natur stark betont wird, kommt seine menschliche Seite nicht zu kurz: Jesus lebt Beziehungen, sei es zu seiner Mutter oder zu seinen Jüngern, und er pflegt Freundschaften.

Er zeigt die ganze Gefühlspalette. Er ist den Menschen zugewandt und seine Gegenwart wirkt heilsam. Aber er zeigt auch, wenn er enttäuscht oder wütend ist – um Gottes und der Menschen willen. Und Jesus hat Humor. Er macht Witze und bringt Menschen zum Lachen. Er lächelt verschmitzt, nimmt seine Gesprächspartner auf den Arm und entkrampft viele Begegnungen durch Ironie oder Übertreibung. Steht das in der Bibel? Nein, aber es wirkt gut erfunden und glaubhaft.

Jesus erscheint als die „Güte und Menschenfreundlichkeit Gottes” (Tit 3,4). Dem Jesus-Darsteller Jonathan Roumie gelingt dies äußerst charmant und gewinnend.

Und dann sind da die beiden Redakteure Matthäus und Johannes, Sohn des Zebedäus, die das Geschehen sowie die Reden und Aussprüche Jesu mitschreiben. So kann es gewesen sein. Damit wird deutlich, dass die hier erzählten Ereignisse bestens bezeugt sind. Alles ist wirklich so passiert und wurde so gesagt.

Männer und Frauen

Besonders gut gefällt mir, dass die Frauen eine zentrale Rolle spielen. Im Fokus steht nicht nur die Mutter Jesu, sondern auch Maria Magdalena und andere Frauen im Jüngerkreis sowie die Schwestern des Lazarus. Auch die Unterstützerinnen Maria, Johanna und Susanna (Luk 8,1-3) werden stark herausgearbeitet. Die wichtige Bedeutung der Frauen, ob im engeren oder weiteren Jüngerkreis, wird gut dargestellt. Angesichts mancher Diskussionen über die Rolle der Frau in der Kirche und im Reich Gottes ist dies ein wichtiger Akzent der hier gesetzt wird.

Herausfordernd

Wie verfilmt man die Evangelien? Der Jesus-Film von Pasolini aus dem Jahr 1963 folgt konsequent dem Matthäusevangelium. Der Jesus-Film von Campus für Christus (1979) orientiert sich hingegen am Lukasevangelium. Das macht vieles einfacher. „The Chosen” versucht hingegen, die Stoffe der vier Evangelien miteinander zu verbinden. Dabei werden die „attraktivsten Inhalte” ausgewählt, auch um der gesamten Bibel gerecht zu werden. Dabei helfen immer wieder Rückblenden auf das Leben Davids.

Als Bibelleser vermisse ich natürlich manche Geschichten und finde manche Aussagen Jesu in einem anderen Kontext wieder. Auch wenn sich die Serie viele Freiheiten nimmt, so zielt die Botschaft auf die Herzen der Zuschauer und spricht sie an. So erlebe ich es auch.

Dass die eine oder andere Geschichte hinzugefügt wird, wie z. B. die Liebesgeschichte von Thomas und Ramah und ihr tragisches Ende, soll uns mögliche Antworten auf die Frage liefern, warum Jesus nicht immer eingreift oder Leiden verhindert.

Ähnlich ist es bei „dem kleinen Jakobus“, der seine Schmerzen im Jüngerkreis behält. Das ist für mich schwer nachvollziehbar, liefert aber die heute gängige Erklärung, dass eben nicht alle geheilt werden. Das passt für mich nur schwer zum Erbarmer Jesu in den Evangelien, der alle heilte, die man zu ihm brachte.

Manche vermissen die prophetische und sozialkritische Botschaft, die anderen finden, dass die Lehre vom Reich Gottes zu kurz kommt. Doch das Wesentliche, das besonders im Johannesevangelium zu finden ist, steht im Vordergrund: Das Gericht Gottes kommt, doch wer an Jesus glaubt, wird gerettet. Jesus ist der Gesandte, der Messias und Gottessohn, der gekommen ist, um sein Leben für die Menschen zu geben und ihre Sünden zu vergeben.

Ist die Serie evangelistisch? Für mich nicht im landläufigen Sinn. Einfach mal eine Folge schauen und dadurch das ganze Evangelium hören, ist meines Erachtens nicht möglich. Sehr wohl aber hilft die Serie allen, die Jesus noch nicht kennen, sich auf den Weg zu machen, um ihn, seine Geschichte und einige Kernaussagen und Schlüsselereignisse aus den Evangelien kennenzulernen – auch wenn es 60 Stunden dauert.

Ich denke, es lohnt sich.

Autor

  • Ehemann von Uta und Vater von zwei erwachsenen Kindern. Mit einem Team gründete er eine Gemeinde, die er 25 Jahre als Pastor leitete. Seit 2022 ist er Redaktionsleiter von Charisma sowie Missionspartner bei Globe Mission.

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